Kunst Meran - Vorstellung der Kassettenedition "Schläft ein Lied" zu Gedichten von Sepp Mall
Liebe Mitglieder von Kunst Meran, liebe Andrea, lieber Sepp Mall,
ich darf heute ein paar kurze Gedanken zum neuen Radierzyklus, einer Kassettenedition Andrea Varescos zu Sepp Malls Gedichten "Schläft ein Lied" formulieren.
Ich will nicht versuchen, die Blätter zu interpretieren, oder gar die Gedichte vorzutragen - das wird Sepp Mall anschließend selbst machen! Was ich gerne mache, ist ein paar Worte zu Andrea Varesco zu sagen und ein paar Inputs zu den kleinen Mikrokosmen die in der Kassettenedition sind, zu geben.
Ich darf vorausschicken, dass sich mehrere Kassetten Varescos, sowie neuerdings auch Unikatdrucke zu Gedichten von Sepp Mall in der Sammlung Hartmann befinden.
Die Sammlung Brigitte und Gerhard Hartmann ist eine umfassende auf Kassetten und Editionen spezialisierte Privatsammlung, die mittlerweile mittels Schenkung u.a. im Besitz der Vorarlberger Landesbibliothek Bregenz, sowie der Deutschen Nationalbibliothek Berlin ist und an Umfang und Qualität unübertroffen ist.
Andrea Varesco, gebürtig aus Montan und in Kaltern wohnhaft, hat die Kunstschule in Gröden und anschließend die Accademia di Brera in Mailand absolviert. Ihre Arbeiten sind immer abstrakt, geben keinen Verweis auf eine außerbildliche Welt. In ihrer Malerei ist die Farbe die unumstrittene Protagonistin, gefolgt von der Art des Farbauftrages. In der Druckgrafik ersetzen Texturen die Farbe. Ihre Arbeiten sind sehr selbstreflexiv und prozessual und stehen in der Nähe des Informel.
Eine Liebe zur Lyrik begleitet die Künstlerin schon seit vielen Jahren. Vor 20 Jahren entstand ihre erste Edition, seither hat sie u.a. zu Gedichten von Emily Dickinson, Klaus Menapace, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl und nun - erstmals zu einem lebenden Schriftsteller - Sepp Mall gearbeitet.
So wie ihre Malerei die materielle Oberfläche transzendiert, wird bei Varesco jedes Gedicht Ausdruck einer Inspiration. Andrea schreibt zur geistig künstlerischen Umsetzung zwischen Gedicht und Bild: "Die Herangehensweise ist stets die, dass ich im Vorfeld aus einem Gedichtband, in diesem Falle aus Sepp Malls "Schläft ein Lied" etwa 15 Gedichte in die engere Wahl nehme und mich mit ihnen eingehend beschäftige. Sodann werden sie bei Seite gelegt und ich tauche in die Arbeit mit den Radierplatten ab. An die Gedichte selbst wird in dieser Phase nicht mehr speziell gedacht. Wenn der Zyklus dann aber vorliegt, erkenne ich bald, welches Blatt zu welchem Gedicht gehört, bzw. um welche Textpassagen es sich dabei handelt. Diese Vorgehensweise ist für mich grundlegend, denn ansonsten wären es bloße Illustrationen."
Diese Radierungen sind ebenso zart wie präzise, fragil und rätselhaft, Flächen und Formen verweilen, lassen die Worte der Gedichte nachhallen. Das Radieren und der Druckprozess sind eine Reflexion und suchen nach einem guten Maß an Nähe und Distanz.
Die Kassette enthält fünf Radierungen zu fünf Gedichten des 2014 bei Haymon erschienenen Büchleins "Schläft ein Lied" und zwar: "Frühe Landschaften", "Torsi", "Last Exit II", "Schläft ein Lied" und "Stube".
Es handelt sich um fünf Tiefdruckradierungen auf Zinkplatten, gedruckt auf Rosaspina von Fabriano. Die Auflage beträgt 12 Stück plus zwei "prove d`artista". Die Kassette selbst hat der Bozner Buchbinder Konrad Egger nach Varescos Konzeptvorgabe gefertigt.
Ja, und das Stichwort Kassette und die nähere Auseinandersetzung mit der Sammlung Hartmann hat mir in der Vorbereitung zum heutigen Tag, eine ganze kleine Welt eröffnet.
In den Kassetten treffen bibliophile Texte und künstlerische Herstellungsprozesse aufeinander. Sie sind oft das Ergebnis, einer besonders intensiven literarischen und grafischen Auseinandersetzung mit Lyrik, hier äußert sich in einer besonderen Form eine besondere Sensibilität.
Der Begriff Kassette deutet im Gegensatz zum Wort Schachtel an, dass sie etwas Wertvolles enthält. Die Schachtel wird veredelt zur Kassette. Sie in Händen zu halten ist für uns Betrachter zugleich eine Performance ihrer Öffnung und Abenteuer der Entdeckung des Inhaltes. Kassetten sind von mehrfacher Intimität: jener der Autoren, Varescos und Malls und jener des Sammlers.
Eine Kassette ist ein abgeschlossener Mikrokosmos der sich weder erweitern noch verringern lässt. Sie ist eine wahre Behausung, die sich nach außen hin abschottet. Eine Kassette bändigt einen überhasteten Zugriff auf ihren Inhalt. Man kann sich ihr nur vorsichtig nähern, sie entpacken, sie bestaunen.
Ihre Abgeschlossenheit macht sie einzigartig, ihr Inhalt ist wohltuend behütet und sie lädt wie eine Schatztruhe zu ihrer Entdeckung ein.
Diese und ähnliche Kassetten sind Konglomerate von Bild- und Schriftlichkeit. Literatur und Kunst kommen in Dialog. Ihr Inhalt gibt den Blick frei in die Werkstatt des Dichters und das Atelier des Künstlers. Was daraus entsteht ist ein interdisziplinäres, die Genre-Grenzen von Lyrik und Graphik überschreitendes Ganzes.
In Zeiten rasant zunehmender Virtualisierung einer digitalen Welt, setzt eine Kassettenedition mit Handschrift und Original, Handarbeit und Materialität einen wohltuenden Kontrapunkt. Ihre haptische Qualität stellt sich dem Mausklick entgegen, ihre Sorgfalt lässt sie zum taktilen Erlebnis werden.
Malls Gedichte und Varescos Radierungen finden in ihrer Kassette stimmig zueinander. Auf Transparentpapier gedruckt ist das Gedicht wie der Vorhang, die Overtüre zum graphischen Blatt. Die beiden Autoren scheinen wie Zahnräder ineinander zu greifen: Sepp Mall spürt unaufgeregt und präzise Wörtern und Erinnerungen nach, Andrea den Linien und Texturen. Ihre Radierungen erzählen nicht, illustrieren nicht, eher träumen sie. Sie werfen Gitter über das Blatt wie Fischer ihre Netze auswerfen, sind persönlich und intim und eine autonome bildnerische Antwort auf die Verse der Gedichte.
Sepp Mall bitte ich nun, Gedichte aus "Schläft ein Lied" zu lesen und Sie darf ich einladen, im Anschluss einen Blick in die Kassette zu werfen. So können Sie in die kongeniale Verinnerlichung der Verse eintauchen.
Ursula Schnitzer
Kunst Meran